Update März 2022: Auf die Nachricht zur Eröffnung einer Sammelklage gegen EY im Wirecard-Finanzskandal haben viele Geschädigte sehnlich gewartet. Nun steht fest, dass das Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) in München stattfinden wird. Das Landgericht München I hat am 14. März 2022 seinen bindenden Beschluss verkündet, das Verfahren der nächsten Instanz vorzulegen (Az. 3 OH 2767/22 KapMuG).Der Zahlungsverkehrsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München war seit Herbst 2018 Mitglied im wichtigsten deutschen Aktienindex Dax. Das Unternehmen bietet Lösungen für bargeldloses Bezahlen an Ladenkassen und online an. Einen Teil seiner Geschäfte übertrug die Wirecard AG an Drittfirmen, die ihren Sitz im mittleren Osten wie Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Philippinen haben. Nach einem Bilanzskandal Ende Juni 2020 hat die Wirecard AG Insolvenz angemeldet.
Nachrichten über Unstimmigkeiten bei Bilanzen gab es bereits einige Jahre. Anfang 2019 erhob die Financial Times Vorwürfe mit einem Bericht, in dem es um mögliche Geldwäsche und Kontenfälschung bei Wirecard ging. Der Finanzskandal kam mit einem KPMG-Sonderbericht ins Rollen: Wirecard hatte nach wiederholten Vorwürfen der Bilanzmanipulation KPMG mit einer Sonderprüfung beauftragt. Die erste Verschiebung des Jahresberichts auf den 30. April hatte Wirecard mit der längeren Dauer des KPMG-Sonderberichts erklärt. Das Gutachten von KPMG legte offen, dass nicht alle Vorwürfe gegen Wirecard ausgeräumt werden konnten. Schließlich testierte EY als langjährige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft den Jahresabschluss unter anderem deshalb nicht, weil ordnungsgemäße Prüfnachweise fehlten. In einer Ad-Hoc-Mitteilung teilte der Vorstand der Wirecard AG am 22.06.2020 mit, weiteren Prüfungen zufolge sei unwahrscheinlich, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten auf den Philippinen in Höhe von insgesamt 1,9 Mrd. EUR existierten. Diese Summe entsprach etwa einem Viertel der Bilanz von Wirecard.
Wirecard fliegt aus dem Dax
Der insolvente Zahlungsabwickler musste die erste deutsche Börsenliga frühzeitig im August 2020 verlassen. Die Deutsche Börse hat angesichts der Insolvenz des Dax-Mitglieds Wirecard ihr Regelwerk geändert. Insolvente Unternehmen werden nun mit einer Frist von zwei Handelstagen aus den Dax-Auswahlindizes herausgenommen. Die Änderungen sind am 19. August 2020 in Kraft getreten.
Insolvenzverfahren Wirecard
Die Wirecard AG hat am 25.06.2020 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit beim Amtsgericht München eingereicht. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 25. August 2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG sowie sechs weiterer deutscher Wirecard-Gesellschaften eröffnet.
Der Insolvenzverwalter konnte in Abstimmung mit der BaFin erreichen, dass die gesamten bei der Wirecard Bank AG vorhandenen Einlagen der Wirecard AG an ihn ausbezahlt werden. Es handelt sich um eine Einlage in Höhe von ca. 226,8 Millionen Euro. Dieses Geld wird der Insolvenzmasse zugeführt und erhöht diese nochmals erheblich. Damit wird die Insolvenzmasse auf über eine Milliarde Euro angewachsen sein. Aktuell soll ferner die Wirecard Bank, auf deren Konten vor zwei Jahren noch 1,64 Milliarden Euro lagen, liquidiert werden. Daraus sind voraussichtlich weitere erhebliche Erlöse zu erwarten.
Schadensersatzansprüche der Aktionäre gegenüber Wirtschaftsprüfern EY
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young war bereits seit vielen Jahren mit der Prüfung der Jahresabschlüsse der Wirecard AG betraut. Bis einschließlich 2018 hat sie die Jahresabschlüsse ohne Beanstandungen testiert. Die Prüfer bestätigten stets, dass die ausgewiesene Bilanz der Richtigkeit entspricht. Warum ist EY das Fehlen einer Geldsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro erst jetzt aufgefallen?
Gemäß den in der Rechtsprechung des BGH entwickelten und höchstaktuell bestätigten Grundsätzen über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch unrichtige Bestätigungsvermerke kann eine Haftung des Abschlussprüfers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB gegeben sein, wenn Gegenstand der Prüfung eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Weiter kommt auch ein Anspruch des Anlegers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht. Nach der Rechtsprechung besteht ein Anspruch, wenn der Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der Prüfer seine Aufgabe unzureichend ausgeführt hat. Dies ist der Fall bei Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit bei den Ermittlungen oder bei Angaben ins Blaue hinein. Die umfangreichen Medienberichte, die Sonderprüfung durch KPMG sowie zahlreiche Zeugenaussagen deuten auf entsprechende Sachverhalte hin und können
Gegenüber Vorständen der Wirecard AG
Die Vorstände der Wirecard haben nach bisherigem Informationsstand mehrere ihrer Pflichten verletzt, wenn nicht sogar persönlich Straftaten begangen. Daher sind im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auch Haftbefehle erlassen worden. Grundsätzlich haften Vorstände nur im Innenverhältnis der Gesellschaft gegenüber. Im Fall Wirecard ergeben sich aufgrund der Tragweite der Pflichtverletzungen auch Ansprüche für Aktionäre und Anleger. Denn der Vorstand hat durch unterlassene Informationen, unzureichende und irreführende Darstellung der finanziellen Lage des Unternehmens sowie durch unterlassene und verspätete Warnung vor absehbaren Kursverlusten einen Schaden der Aktionäre verursacht. In einem gerichtlichen Verfahren ist die Beweisführung zum Vorsatz dabei jedoch schwierig, da sich die Vorstände zunächst auf die Pflichten von Wirtschaftsprüfern und externen Beratern berufen können. Weiter stellt sich die Frage, ob ausreichend liquide Mittel zur Befriedigung der Gläubiger und Aktionäre zu Verfügung stehen, selbst wenn dem Vorstand ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Die D&O-Versicherung der Vorstände (Directors-and-Officers-Versicherung, eine Manager-Haftpflichtversicherung) greift bei Vorsatz nicht. Selbst wenn sie greifen würde, wäre die Deckelung der Versicherung beim vorliegenden Schaden im Wirecard-Finanzskandal zu gering. Dasselbe gilt vermutlich für das Privatvermögen der Vorstände. Hinzu kommt, dass im Falle einer Haftbarkeit der Vorstände auch der Insolvenzverwalter diese in Anspruch nehmen wird. Im Ergebnis ist eine Privatinsolvenz zu befürchten. Dann hilft ein gerichtlich erstrittener Titel nicht weiter. Darüber hinaus ist ein Teil des Vorstands immer noch flüchtig.
Gegenüber der BaFin
Auch wenn die Handlungen – oder auch Nichthandlungen- der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als äußerst kritisch bewertet werden können, sind die Chancen, erfolgreich Ansprüche gegen die BaFin geltend machen zu können, als gering einzustufen.
Aus rechtlicher Sicht handelt die BaFin ausschließlich im öffentlichen Interesse. Dadurch werden Ansprüche von Anlegern ausgeschlossen. Das Fehlen dieser subjektiven Rechtsposition wurde bereits gerichtlich bestätigt. Ohnehin kann und wird sich der Staat darauf berufen, dass gerade der vorliegende Skandal durch die bestehenden Gesetze, insbesondere die Prüfpflicht durch Wirtschaftsprüfungsunternehmen verhindert werden sollte. Ein Staat oder eine Behörde trägt in der Regel keine Verantwortung gegenüber Aktionären für die Nichteinhaltung oder einen Verstoß gegen geltendes Rechts durch Dritte.
Gegenüber Finanzvermittlern und Brokern
Grundsätzlich haftet der Vermittler oder der Bankberater, wenn auf eintretende Risiken nicht ausreichend hingewiesen wurde. Denkbar ist auch eine Prospekthaftung, wenn die Verkaufsprospekte entsprechende Fehler aufweisen. Sollte auf die anfallenden Provisionen nicht hingewiesen worden sein, haften sowohl Banken als auch unter Umständen Finanzvertriebe für den entstandenen Schaden. Möglich ist auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Onlinebroker, weil eine Order nicht oder verspätet ausgeführt wurde. In einigen Fällen war beispielsweise ein Zugriff auf das Depot aus technischen Gründen nicht möglich oder Aufträge wurden erst mit stundenlanger Verzögerung ausgeführt.
DAKS e.V., Dr. Seeberg, Dr. G. Hitzges
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