Berlin, 31.8.2020
Zehn Jahre lang stempelte EY die Wirecard-Berichte ab. Jetzt bringen sich weltweit Schadensersatzkläger in Stellung. EY muss sich auch auf mögliche Ermittlungen einstellen. Das Unternehmen mit 270.000 Mitarbeitern in 150 Ländern zählt zu den sogenannten Big Four seiner Branche.
Ein Weltverbesserer sei sein Unternehmen, das ist Hubert Barth wichtig. „Mit unserem umfassenden Wissen und der Qualität unserer Dienstleistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Kapitalmärkte und Volkswirtschaften“, erklärt der Deutschlandchef von EY auf der Webseite der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. „Bei EY setzen wir alles daran, dass die Welt besser funktioniert.“
Je höher der Anspruch, desto härter der Absturz. Nach dem Wirecard-Skandal rollt jetzt nach Informationen des Handelsblatts eine Welle an Schadensersatzklagen auf EY, den Prüfer des Finanzdienstleisters, zu – und auch strafrechtliche Ermittlungen drohen.
Ernst & Young, das seit 2013 unter dem Namen EY firmiert, kann seine Geschichte bis ins Jahr 1849 zurückverfolgen. Das Unternehmen mit 270.000 Mitarbeitern in 150 Ländern zählt zu den sogenannten Big Four seiner Branche. Gemeinsam mit Deloitte, KPMG und PwC dominiert es den Markt für Wirtschaftsprüfung. Ein Bankenkonsortium wird einen 1,75 Milliarden Euro schweren Kredit für den Münchener Zahlungsdienstleister weitgehend abschreiben. Aktionäre haben bereits mehr als 23 Milliarden Euro verloren, so viel war der Konzern einmal an der Börse wert.
Angebliche Guthaben des Unternehmens auf den Philippinen existieren nicht, Umsätze mit Partnerunternehmen im Nahen Osten und Asien waren ausgedacht. EY erteilte den Fantasieberichten der Wirecard-Führung zehn Jahre lang uneingeschränkte Testate.
Jetzt stehen gewaltige Schadensersatzklagen an. Adressaten dafür sind zwar zunächst Wirecard und seine Führungskräfte. Doch Wirecard ist insolvent und die verantwortlichen Vorstände und Aufsichtsräte entweder nicht greifbar oder nicht vermögend genug, um die Ansprüche zu befriedigen. Immer stärker rücken die finanziell gut ausgestatteten Prüfer von EY ins Visier der Kläger. Würde dies EY tatsächlich nachgewiesen, wären Schadensersatzklagen ein Selbstläufer. So wie im Bilanzskandal Flowtex. Damals musste KPMG geschädigten Banken 100 Millionen Deutsche Mark Schadensersatz zahlen. Im Fall Wirecard könnte es teurer werden. Drohende Zahlungen in Milliardenhöhe wären für die deutsche EY-Gesellschaft existenzgefährdend. EY wollte sich gegenüber dem Handelsblatt nicht zu den Klagen und zur Prüfung von Wirecard äußern. Allein die Sonderprüfung von KPMG lässt Zweifel an der Arbeit von EY aufkommen: Als die Geschäftspraktiken von Wirecard im Herbst 2019 immer stärker in die öffentliche Kritik gerieten, setzte sich Wirecard-Investor Softbank für diese Sonderprüfung ein. KPMG zeichnete Ende April ein verheerendes Bild vom internen Rechnungswesen und Kontrollsystem bei Wirecard, auf die es in früheren Prüfungsberichten von EY keine derartigen Hinweise gab.
Entscheidend für den Klageerfolg wird die Bewertung sein, ob EY die Existenz der Beträge auf Treuhandkonten auf den Philippinen ausreichend geprüft hat. Kontoüberprüfungen gelten als das kleine Einmaleins des Prüfungswesens. Tatsächlich aber lassen die Prüfungsnormen Spielraum für Interpretationen: Spezielle Normen zu Treuhandkonten gibt es nicht, über die Anwendung der bestehenden Standards in diesem Fall streitet die Wissenschaft. „Ein vorsätzliches Fehlverhalten wird EY nicht einfach nachzuweisen sein“, heißt es in Branchenkreisen.
Schon jetzt ist daher absehbar, dass es vor Gericht zu einer Schlacht mit Gutachten von beiden Seiten kommen würde. EY verschanzt sich in einer der wenigen öffentlichen Erklärungen hinter dem Betrugsvorwurf. Bei Wirecard seien daran „mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt“ gewesen.
Die Erklärung zielt ins Herz der Branche: War die Wirecard-Führung zu gut beim Betrug? Oder war EY zu schlecht beim Prüfen? „Wirecard fesselt uns alle“, sagt ein Angestellter einer anderen Big-Four-Gesellschaft. Der Fall wecke ungute Erinnerungen an das, was vor 18 Jahren der Prüfgesellschaft des US-Konzerns Enron passierte: Arthur Andersen.
Die Gesellschaft zählte zu den größten der Branche, damals noch Big Five genannt. Auch damals rollten gewaltige Schadensersatzklagen gegen die Wirtschaftsprüfer, die Enrons dreist manipulierte Bilanzen testiert hatten. Arthur Andersen zerbrach – und deren deutsche Einheit wurde 2002 ausgerechnet von EY übernommen.
Seither, so sagt der Insider, hätten sich alle Prüfgesellschaften rechtlich so aufgestellt, dass ein Schadensersatzverfahren gegen eine einzelne Landesgesellschaft nicht das ganze Unternehmen umwirft. Freilich – auch der Wegfall des Deutschlandgeschäfts würde EY schwer treffen. Ab dem Jahr 2020 wird EY jedes vierte Dax-Unternehmen prüfen, 2019 setzte die Gesellschaft hierzulande 2,1 Milliarden Euro um.
Die Prüfungsgesellschaft hat zuletzt im Zuge der verpflichtenden Rotation mehrere renommierte Mandate eingesammelt: Allein in diesem Jahr kommt die Abschlussprüfung von Volkswagen, Deutscher Bank, Lufthansa und Munich Re hinzu. EY gilt als erfolgreicher Angreifer unter den „Big Four“ in Deutschlands oberster Börsenliga.
Ist all das wegen Wirecard und der Klagewelle in Gefahr? Nein, sagt EY und verweist auf das sogenannte Haftungsprivileg. Das deutsche Handelsrecht sieht vor, dass Abschlussprüfer bei der Arbeit für börsennotierte Aktiengesellschaften maximal mit vier Millionen Euro pro Prüfung haften müssen.
Das wäre zu verschmerzen – mag aber nicht reichen. Das Haftungsprivileg greift nur bei fahrlässigen Fehlern. Sollte gerichtlich geklärt werden, dass EY vorsätzlich zehn Jahre lang falsche Bilanzen testierte, gibt es kein Limit. Und überhaupt, sagt Nadine Herrmann von der klagebereiten Kanzlei Quinn Emanuel, gelte das Haftungsprivileg nur im Verhältnis zwischen Prüfer und der Wirecard AG. „Für die Verantwortung von EY gegenüber geschädigten Investoren spielt es keine Rolle.“
Branchenexperten sind sich einig: Wenn Fehler gemacht wurden, wird das Konsequenzen haben. „An einer sorgfältigen, sachgerechten Prüfung durch EY muss man im Fall Wirecard deutlich zweifeln“, sagt Hansrudi Lenz, Professor für Wirtschaftsprüfung an der Uni Würzburg. Dies gelte laut Lenz umso mehr, nachdem etwa im März 2019 in einem Artikel der „Financial Times“ schwerwiegende Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten bei der Darstellung der über Drittpartner in Asien abgewickelten Umsätze im Konzernabschluss erhoben wurden.
DAKS e.V. Dr. G. Hitzges
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